» Video-VersionSchlagwörter: Sigmar Gabrier, Politik, Vortrag, Rede, RUB, Ruhr-Universität Bochum, Flüchtlinge
Dauer: 1:12:03Drehort: QuerenburgSponsor: Fliegender Kameramann» Filmübersicht
Innovation für das Ruhrgebiet. Vortrag von Sigmar Gabriel an der RUB
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22Sigmar Gabriel, Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Energie: „Sehr geehrter Herr Professor Doktor Schölmerich, sehr geehrter Abgeordneter Schäfer, meine sehr geehrten Damen und Herren. Erst mal vielen Dank für die Einladung dieses mal musste ich nicht durch die Gänge der Uni versuchen den Hörsaal zu finden und vor allen Dingen hoffe ich, dass ich auch einfacher wieder raus finde, als beim letzten Mal. Sind ja doch verschlungene Wege. Ich habe mich sehr gefreut über die Einladung und kann mich erinnern, dass wir eine spannende Debatte damals hatten in der Vorlesungs-Veranstaltung und will Sie herzlich einladen nach meinem Vortrag sozusagen ein bisschen sich herum zu streiten, wenn Sie Lust haben und zu diskutieren. Auch über Themen die ich nicht anspreche und die Sie möglicherweise bewegen. Wir haben ja wilde Zeiten derzeit in Deutschland und in der Welt, also herzlich gerne auch zu allen anderen Themen. Die Ruhr-Universität Bochum feiert in diesem Jahr 50-jähriges Bestehen, das ist ja gemessen an der Tradition deutscher Universitäten noch ganz jung, noch sozusagen in der Vorschule aber natürlich für das Ruhrgebiet und für Deutschland inzwischen doch eine große und wichtige Universitätstradition.“
Sigmar Gabriel: „Mit über 42000 Studierenden zählen sie heute zu den großen Universitäten unseres Landes. Über 5000 Menschen forschen hier oder unterstützen Forschung und Lehre und manche sagen ja abschätzig zu so etwas eine „Masseneinrichtung“ in dieser Größenordnung und natürlich ist es so, dass nicht zwangsläufig ausschließlich das Studium zu einem guten Leben führen kann. Der Meister ist nicht weniger wert als der Master, aber wir sehen eben, dass an einer solchen Hochschule, an einer solchen Universität unglaubliches für die Studierenden, für die Region aber auch für das ganze Land geleistet wird. Die steigende Studierenden-Zahl bedeutet vor allem, dass gerade an einem Standort wie Bochum mitten im Ruhrgebiet, mit dem man historisch ja eher Kohle und Stahl als Wissenschaft verbindet, in den letzten 50 Jahren viele Menschen Studienabschlüsse erworben haben von denen ihre Eltern und Großeltern nicht mal wagten zu träumen. Das vergessen wir manchmal, wenn wir uns das heute so anschauen. Ich kann das in meiner Biographie auch nachvollziehen, ich war in unserer Familie auch der erste, der die Möglichkeit hatte Abitur zu machen, schon die Realschule galt im Stadtteil als was Besonderes . Abitur und dann auch noch Studieren, ich gebe auch zu meine Mutter hat lange Zweifel gehabt, ob das was wird, aber es ist natürlich so, dass für viele unserer Eltern und Großeltern das etwas kaum erträumbares gewesen ist, was heute für viele Menschen Gott sei Dank Realität ist, wenn sie es können und wollen.“
Sigmar Gabriel: „Ich bin ja Vorsitzender einer Partei zu deren Gründungsmaximen der Satz: „Wissen ist Macht.“ gehört. Das stammt ursprünglich zwar von Francis Bacon, einem englischen Philosophen, aber politisch einflussreich ist das insbesondere über die Figur von Wilhelm Liebknecht in der Deutschen Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert gewesen. Dahinter verbarg sich die Idee, dass sozusagen der Zugang zu einer Gesellschaft und die Möglichkeit der Teilhabe an einer Gesellschaft Demokratie schlechthin, Wissen bedeutet und Bildung notwendig ist dafür und das zur Emanzipation, also sich nicht gebunden fühlen an die Herkunft, nicht sozusagen durch Geschlecht, durch Rasse, durch Religion oder Einkommen der Eltern das Leben vorbestimmt zu haben, sondern emanzipatorisch zu glauben und zu wissen man kann aus seinem Leben was machen, dass Bildung und Wissen dafür die zentrale Voraussetzung ist. Für Arbeiter steckte in diesem Satz ein Versprechen. Es ging eben darum Schranken zu beseitigen, die großen Teilen der Bevölkerung den Zugang zu Wissen, Bildung und auch Kultur verwehrten. Es ist kein Zufall, dass viele der Gründer meiner Partei der Sozialdemokratie nicht zuletzt August Bebel über Arbeiter-Bildungsvereine in die Politik gekommen sind, weil da sozusagen nachholende Bildung die Voraussetzung dafür sein sollte sich auch demokratisch an der Veränderung des Landes, der Demokratisierung zu beteiligen.“
Sigmar Gabriel: „Wissen und Bildung entschlüsselt zur Emanzipation. Man kann auch sagen, sind der Weg zum Selbstbewusstsein, ein gleichwertiger Mensch zu sein und nicht durch Herkunft oder bisherigen Bildungsstand nicht die gleichen Ranken der Gesellschaft zu haben wie andere. Wer sich Wissen und Bildung aneignet schafft sich damit eben ein individuelles Kapital, das den persönlichen Lebensweg ermöglicht, auch Aufstieg. Bildung und Erziehung zu Kompetenz und Orientierung würden wir wohl heute sagen. Bildung ist aber nicht nur im materiellen nützlich, es befähigt auch zur Beteiligung auch in einem so komplizierten Land wie bei uns und Bildung ist die zentrale Voraussetzung für eine lebendige und funktionsfähige Demokratie. Ich finde es nicht gewagt die Neugründung von Universitäten in Deutschland zu denen ganz prominent auch Bochum zählt mit einem Zeitgeist in Verbindung zu bringen, der einen Bildungsaufbruch bedeutet hat in Deutschland und den der damalige Bundeskanzler Willy Brandt in seiner Regierungserklärung 1969 auf eine einfache Formel gebracht hat. Mehr Demokratie wagen, beides steht im unmittelbaren Zusammenhang. In der großen Zahl der hier studierenden und forschenden Menschen kommt ganz sicher eine Erfolgsgeschichte der Ruhr-Universität zum Ausdruck. Zahlreiche Sonderforschungs-Bereiche Graduiertenschulen ein Exzellenzcluster an der Ruhr-Uni unterstreichen diese Erfolgsgeschichte noch. Hier gilt nicht Masse, sondern Klasse ist trotz der großen Zahl Maßstab für die Arbeit der Universität.“
Sigmar Gabriel: „Auch heute geht es nicht nur um eine Erfolgsgeschichte der Uni, vom Erfolg der Ruhr-Universität profitieren auch unser Land und seine Bürgerinnen und Bürger. Die Erkenntnis, dass Talent, Forschergeist, Bildung die Rohstoffe der Zukunft sind, hat sich in Deutschland schon in der Gründungszeit der Ruhr-Uni durchgesetzt. Ich erinnere nur an Georg Pichts berühmt gewordene Warnung vor einer Bildungskatastrophe in Deutschland, veröffentlicht 1964. Sie hat damals ein Echo gefunden, das man sich heute kaum noch vorstellen kann und eine Welle der Reformen in der deutschen Bildungslandschaft ausgelöst. Man kann sagen, dass Bochum den Anfang gemacht hat, der Beschluss zur Gründung der Ruhr-Uni fiel sogar schon einige Jahre vorher. Dortmund, Essen, Duisburg und viele andere Hochschulen im Ruhrgebiet folgten rasch. Die Idee war das Land davor zu bewahren, dass es zu wenige gut qualifizierte junge Menschen hat, um seine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zukunft zu gestalten und um seine Demokratie lebendig zu halten. Das ist sozusagen die Warnung vor der Bildungskatastrophe gewesen, auf die eine unglaubliche Expansion der Bildungsmöglichkeiten, auch der Öffnung traditioneller Bildungsgänge gefolgt ist.“
Sigmar Gabriel: „Wenn ich mir heute die einzigartige Hochschullandschaft des Ruhrgebiets anschaue, dann sieht man die Saat, die von visionären Landesregierungen in den 60er und 70er Jahren gestreut wurde, die geht heute auf. Oder ist längst auf gegangen. Das Ruhrgebiet verfügt heute über eines der dichtesten Hochschulnetze in Deutschland. Ich finde man darf auch mal daran erinnern wer das geschaffen hat, nämlich Johannes Rau. Er hat als junger Wissenschaftsminister in den 70er Jahren ... er hat natürlich nicht nur gutes gemacht, er hat sich zum Beispiel mit Joseph Beuys angelegt, das war vielleicht keine so glorreiche Leistung, aber auch das war damals ja durchaus üblich. Da vorne nickt einer, hat es offensichtlich nicht schlecht gefunden, aber er hat vor allen Dingen die Wissenschaftslandschaft in Nordrhein-Westfalen dramatisch verändert und wir zehren noch heute von dem, was er damals als Perspektiven für sein Land Nordrhein-Westfalen entwickelt hat.“
Sigmar Gabriel: „Heute gibt es hier fünf Universitäten, eine Kunst- und Musikhochschule, 15 Fachhochschulen und 49 Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Das sind Arbeitsplätze für rund 2200 Professoren 15000 wissenschaftliche Angestellte. Im Wintersemester 2013-2014 waren über eine viertel Million Studierende in einem von rund 600 Studiengängen eingeschrieben. Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen ... keine andere deutsche Metropolregion bildet mehr Studierende aus als das Ruhrgebiet. Tendenz steigend allein in den fünf Jahren zwischen dem Wintersemester 2007-2008 um rund oder knapp 60%. Das ist eine Maßzahl eines wirklich erfolgreichen Strukturwandels. Daneben verfügt das Ruhrgebiet über vier Fraunhofer-Institute, vier Leibniz-Institute, drei Max-Planck-Institute und mehr als dreißig Technologie- und Innovationszentren. Ich finde verdammt beeindruckende Zahlen. Manchmal fragt man sich warum eigentlich außerhalb des Ruhrgebiets das Bild des Ruhrgebiets immer noch irgendwie mit Kohle und Stahl in Verbindung ... eigentlich habe ich nichts gegen die Stahlindustrie, ist auch was wichtiges für die Zukunft, aber eigentlich ist das, was ich Ihnen vorgetragen habe ein ganz modernes Bild des Ruhrgebiets wo sich viele andere Regionen Deutschlands und Europas freuen würden, wenn sie es in gleicher Dichte und Qualität vorhalten könnten.“
Sigmar Gabriel: „Seit 2007 kooperieren die Universitäten Bochum-Dortmund und Duisburg-Essen bei Forschung und Lehre in der Universitätsallianz Ruhr. Das stärkt die drei beteiligten Unis in der nationalen und internationalen Wissenschafts- und Studienlandschaft und es erhöht die Ausstrahlung der Hochschulen auf das Ruhrgebiet und weit darüber hinaus. Wenn wir vom Ruhrgebiet sprechen, dann ging es lange Zeit nur um die Vergangenheit und das was die Region lange Zeit war, natürlich das industrielle Herz Deutschlands und die Kraftquelle seiner wirtschaftlichen Entwicklung und viel davon finden Sie heute als moderne Industrieproduktion, verarbeitenden Gewerbe, Dienstleistung, Logistik auch immer noch im Ruhrgebiet. Hier war der Geburtsort der deutschen Industrie. Unternehmensnamen wie Krupp, Thyssen, Hoesch oder Stinnes klingen bei vielen heute noch nach, aber keines dieser Unternehmen strahlt noch im alten Glanz. Heute sprechen wir meist über Unsicherheiten und Wandel und über Strukturschwäche, ich finde zu Unrecht. An dieser und anderen Hochschulen kann man das Neue zu dem das Ruhrgebiet längst geworden ist schon ganz gut erkennen. Im Wandel liegt vor allen Dingen eben auch die Zukunft der Region und des Landes und das ist unser Thema, denn im Ruhrgebiet steckt viel wirtschaftliche Stärke. Das macht jeder Besuch in dieser spannenden Region klar.“
Sigmar Gabriel: „Meine Damen und Herren am niederrheinischen Rand des Ruhrgebiets zum Beispiel in Duisburg lag einmal der größte Binnenhafen der Welt in dem damals vor allen Dingen Kohle und Erze umgeschlagen worden sind. Wenn Sie heute nach Duisburg gehen, dann haben Sie immer noch mindestens Europas größten Binnenhafen, aber was Sie dort erleben ist sozusagen ein Netzwerk von Logistikzentren, etwas was sozusagen dazu führt, dass Unternehmen sich dort ansiedeln, dort Produktion aber eben auch Dienstleistung statt findet und tausende von Arbeitsplätzen geschaffen wurden. Ich war erst letztens da und wenn man sozusagen dann erklärt bekommt, dass das Gelände über das man geht am Duisburger Hafen mal der Ort war, an dem Rheinhausen das Stahlwerk gestanden hat, um das es große Kämpfe gab und heute im Grunde eine ähnliche Zahl von Arbeitsplätzen dort ist, aber eben ganz anders geartete auch mit anderen Qualifikationen. Dann sieht man, dass der Strukturwandel im Ruhrgebiet längst erfolgreich in vielen Bereichen statt gefunden hat.“
Sigmar Gabriel: „Meine Damen und Herren, die wichtigsten Rohstoffe im Ruhrgebiet und anderswo sind eben nicht mehr Kohle und Erz, sondern das Wissen, die Qualifikation hat die Rolle übernommen, obwohl ich gar nicht sicher bin, ob das eigentlich so eine ganz neue Rolle ist. Man sich fragt ... wie kommt es eigentlich, dass Deutschland über nun knapp 200 Jahre eine so erfolgreiche Industrienation geblieben ist ... dann gibt es dafür natürlich eine relativ schnelle und präzise Antwort. In diesem Land konnten wir und können wir zwei Dinge besser als viele andere. Wir haben eine Fähigkeit zur Innovation, zum erfinden neuer Produkte und Verfahren, aber eben auch zur Integration, nämlich diese neuen Produkte und Verfahren in die vorhandene Produktions-und Dienstleistungsgesellschaft zu integrieren und daraus neuen ökonomischen, sozialen und auch kulturellen Erfolg zu machen. Diese Kombination aus Innovations- und Integrationsfähigkeit, die hat natürlich eine zentrale Voraussetzung und das ist Qualifikation. Qualifikation natürlich auch im Bereich der Hochschulen, aber was wir parallel dazu haben ist ein fast einmaliges System der beruflichen Bildung, der dualen Berufsausbildung und wir sind dort besonders gut, wo wir die traditionelle duale Berufsausbildung koppeln mit Durchstiegsmöglichkeiten zur akademischen Weiterbildung, zum Ingenieursstudium und anderes mehr. Das ist sozusagen etwas das finden Sie im Rest der Welt nicht noch einmal in der gleichen Tradition und um diese Fähigkeiten zur Innovation und Integration und diese sozusagen breitgefächerte Qualifikation herum haben sich eben Kernkompetenzen der deutschen Industrie und des verarbeitenden Gewerbes entwickelt und heute längst auch mit Dienstleistungen verzahnt und das ist sozusagen die besondere Stärke unseres Landes, ist wahrscheinlich der Grund warum wir besser aus mancherlei Krisen herausgekommen sind, als das viele andere Länder der Welt und Europas geschafft haben.“
Sigmar Gabriel: „Aus dem Rohstoff Wissen erwachsen überall Innovationen für das Ruhrgebiet und weit darüber hinaus und noch hat die Region nicht alle Folgen des Strukturwandels vollständig überwunden, aber ich glaube es ist überall bei Ihnen längst sichtbar zu was das Ruhrgebiet fähig ist. Allerdings ... es gibt natürlich etwas was die Menschen und die Vertreter am Ruhrgebiet ärgert, denn viele der ausgebildeten Akademikerinnen und Akademiker auch der Fachkräfte wandern ab. Das stellt nicht alle zufrieden, ein bisschen sportlich gesagt kann man sagen ... manches was an Industrieller Fähigkeit in Bayern möglich ist, wird hier ausgebildet. Ist auch eine Form von Entwicklungshilfe Innerstaatlich und wenn die Bayern mal wieder am Länderfinanzausgleich rütteln, würde ich den Nordrhein-Westfalen empfehlen schlicht mal aufzulisten welche Kosten das Land Nordrhein-Westfalen übernimmt, weil die Bayern immer noch ein Schulsystem haben, wo es zu wenig Nachwuchs für den akademischen Bereich gibt. Aber ernsthaft, natürlich bis auf Essen, Mülheim an der Ruhr und Dortmund weisen alle Städte des Ruhrgebiets im Jahre 2013 eine geringere Akademikerquote auf als im Bundesdurchschnitt. Das kann die Region nicht zufrieden stellen. Trotzdem glaube ich gibt es gute Gründe in dem sozusagen Jubiläumsjahr der Ruhr-Universität zu prophezeien, dass sich das ändern wird und die besten Jahre des Ruhrgebiets noch vor Ihnen liegen. Sieben oder acht Kilometer entfernt von hier in der Jahrhunderthalle, eine inzwischen ja hippen Location, ein Industriedenkmal trifft sich gerade die ausgesprochen aktive und spannende Gründerszene Nordrhein-Westfalens mit Unternehmen, Beratern und Banken beim Gründergipfel NRW. Ist ein kleiner Hinweis darauf, dass inzwischen natürlich Nordrhein-Westfalen gerade wegen der besonderen Stärke des Ruhrgebiets in seinen Hochschul- und Universitätsangeboten auch ein Zentrum für Gründungsaktivitäten geworden ist.“
Sigmar Gabriel: „Ich bin jedenfalls fest überzeugt davon, dass die hoch entwickelte Wissenschaftslandschaft im Revier eine der Gründe dafür ist, warum es hier inzwischen eine enge Zusammenarbeit zwischen jungen Gründern und klassischen Industrien gibt. Überall kann man sehen, dass im Ruhrgebiet der Gegensatz zwischen … der angebliche Gegensatz glaube ich muss man sagen zwischen old and new economy an Bedeutung verliert, die Verbindung von Ingenieurwissenschaften und Digitalisierung erobert längst die Wertschöpfung. Hier entsteht gerade eine ganz eigene Mischung, denn gerade weil der Umbruch allgegenwärtig ist und wir in einer datengetriebenen, globalen Ökonomie leben, gerade deshalb findet auch kaum irgendwo sonst in Deutschland die neue digitale Wirtschaft einen so fruchtbaren Boden wie im Ruhrgebiet. Überall in den Forschungseinrichtungen und Universitäten im Revier entsteht Neues. Auf dem Essener Campus der Uni Duisburg-Essen etwa befindet sich der größte Fachbereich für Wirtschaftsinformatik im deutschsprachigen Raum.“
Sigmar Gabriel: „Das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik in Dortmund hat sich als wichtigste Schnittstelle zwischen Logistik-Forschung und der Wirtschaft etabliert. Und ein besonders gutes Beispiel für die Chancen, die die Digitalisierungen dem Ruhrgebiet bieten kennen Sie alle hier. Das ist das Horst-Görtz-Institut für IT-Sicherheit an der Ruhr-Universität Bochum. Es ist mit neuen Professuren aus den Bereichen Elektrotechnik, Informationstechnik, Mathematik und E-Business und Jura und derzeit 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die größte Hochschuleinrichtung dieser Fachrichtung in Europa. IT-Sicherheit ist ein Wirtschaftszweig der Zukunft, seine Bedeutung wird mit der Digitalisierung aller Lebensbereiche wachsen. Nicht nur NSA und BND, sondern vor allen Dingen die Frage: „Was machen eigentlich diejenigen, die meine Daten nutzen mit diesen Daten, wo landen sie?“ Haben wir eine ganze Reihe an neue Fragen auftauchen lassen. Unser klassischer Begriff des Datenschutzes, der auf sozusagen Datenminimierung ausgeht, der ist ja so ungefähr das Gegenteil des Geschäftsmodells von Big Data. Der wird also nicht länger tragen, sondern wir brauchen Entwicklungen zur Datensouveränität. Die Datenschutzgrundverordnung auf europäischer Ebene ist zum Beispiel wichtig dafür, aber dafür wie wir Datensouveränität schaffen, technologisch sozusagen im rechtlichen Rahmen, im Verbraucherverhalten, in der Bildung, in der Ausbildung, dafür brauchen wir sozusagen noch stärkere Kompetenzen, als wir sie heute haben und wir Deutschen gelten ja oft als Bedenkenträger wenn es um technischen Fortschritt geht.“
Sigmar Gabriel: „Der gerade verstorbene Helmut Schmidt hat mal gesagt: „Die letzte Erfindung zu der die Deutschen bruchlos ja gesagt haben, war der Farbfernseher, danach haben wir Kommissionen über die Gefahren gegründet, die möglicherweise Erfindungen haben.“ Da mag was dran sein, aber in diesem Fall könnte sozusagen die vorhandene Skepsis gegenüber der Frage: „Was passiert mit meinen Daten?“ Sogar dazu dienen neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Also in den Wettbewerb einzutreten mit den Vereinigten Staaten, in welchem Land sind Big Data Geschäftsmodelle am sichersten durchzuführen? In welchem Land ist sozusagen Datensicherheit ein Asset, wo ist Trusted Cloud etwas was sozusagen Unternehmen und Bürgern angeboten werden kann? Das finde ich schon eine spannende Herausforderung. Ist ein bisschen so, wie mit dem Umweltschutz, der am Anfang als Nachteil gesehen wurde und sich dann als großer Wettbewerbsvorteil in vielen Bereichen der Wirtschaft herausgestellt hat.“
Sigmar Gabriel: „Meine Damen und Herren die Digitalisierung bietet traditionellen Industriebranchen, aber auch Dienstleistern die Chance mit digitalen Technologien sich selbst zu erneuern. Stichwort: Industrie 4.0 oder Internet of Things. Ich bin sicher, dass Deutschland Leitanbieter und Leitmarkt für Industrie 4.0-Lösungen werden kann, unsere Standort-Chancen dafür sind sehr gut. Das bietet einen großen Markt für die Verbindung von Industrie und Digitalisierung wie wir sie im Ruhrgebiet finden. Diese Chance werden wir aber nur nutzen können, wenn etablierte Unternehmen mit jungen innovativen Start-Ups zusammen gehen. Und wenn sie Start-Ups nicht irgendwie nur unter der Unterschrift untersuchen: „Wen kann ich kaufen?“, sondern sie auch verstehen als so etwas wie eine ausgelagerte Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Gute Ideen und passgenaue Lösungen von Start-Ups helfen etablierten Unternehmen dabei innovative Produkte zu schaffen und neue Wachstumsfelder zu erschließen, übrigens auch die Beurteilungskompetenz der klassischen Unternehmen zu verbessern. Das ist etwas, wo man sich in Deutschland ein bisschen Sorgen machen muss, das sehen Sie an den Umfragen, wenn rund 50% der kleineren Unternehmen oder mittleren Unternehmen des Maschinenbaus sagen Digitalisierung sei nicht ihr Kerngeschäft, dann glaube ich muss man ein bisschen Sorgen haben. Denn das Problem ist, dass wir klassischerweise von der Produktseite aus denken. Unsere Unternehmen sind es gewohnt sich unsere Produkte anzuschauen, in sie zu investieren, sie produktiver, effizienter zu machen, die Produktpalette zu erweitern und damit Marktanteile zu erobern, Wettbewerbsvorteile zu schaffen. Jetzt ist es aber so, dass wir eine neue Ökonomie haben, bei der sich zwischen Produkt und Kunden eine neue Wertschöpfungsplattform schiebt. Eine Wertschöpfungsplattform die Teile der Wertschöpfung aus dem Produkt heraus auf diese Plattform zieht.“
Sigmar Gabriel: „Ich mach es mal beispielhaft, weil mein Erweckungserlebnis war ein Gespräch mit meiner älteren Tochter, der ich in glühendsten Farben geschildert habe, wie toll ich es fand, dass ich mir mit 18 ein Auto besorgt habe. Konnte die älteste Karre sein, Hauptsache es war meins. Das war irgendwie was ganz spannendes. Sie hat mich ein bisschen schräg angeguckt und hat gesagt, das fände sie eine schräge Idee. Sie wolle nicht ein Auto besitzen, sondern Mobilität und zwar eine, die in der Woche von Montag bis Freitag anders ist, als am Wochenende und im Sommer anders als im Winter. Und wo geht sie hin? Lebt nun zugegebener Maßen in einer Großstadt, wenn sie das sucht ... na jedenfalls nicht zum Autohändler, sondern ins Internet auf Mobilitätsplattformen. Und wer weiß am meisten über die Mobilitätsbedürfnisse meiner Tochter? Nicht Volkswagen, BMW oder Daimler sondern Google. Wer ist der Innovationstreiber für die Mobilitätsbedürfnisse der Zukunft? Die klassische Autoindustrie oder die, die die Plattformen beherrschen? Das Beispiel können Sie auf praktisch alle Bereiche von Produktion und Dienstleistungen beziehen und deswegen ist das für die Überlebensfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft, ich glaube der europäischen wichtig, dass wir beides beherrschen. Das Produkt natürlich, am Ende nützt Mobilität nichts, wenn das Auto was man sich da besorgt hat nicht fährt oder der Zug, aber natürlich auch die Plattformen. Die, die die Daten beherrschen, das ist ja der neue Gold-Standart der Industrialisierung, die werden die Innovationstreiber sein und das sind derzeit fünf amerikanische Konzerne und es geht schon darum aufzupassen, dass wir in dieser neuen Plattform-Ökonomie auch eine Rolle spielen und zwar eine bedeutende. Wir können das schaffen, keine Frage, aber dazu muss diese Beurteilungskompetenz steigen. Dafür können bei mittelständischen und kleineren Unternehmen oder kann die Kooperation mit Start-Ups, mit Unternehmen aus der IT-Szene deutlich hilfreich sein.“
Sigmar Gabriel: „Wir müssen deshalb auch junge Gründer ermutigen und natürlich, das ist das Schwierigste in Deutschland, den Zugang zu Wagniskapital verbessern. Wir müssen auch als Politik ein paar Rahmenbedingungen ändern, keine Frage, aber unser Umgang mit Wagniskapital, der ist manchmal schon ein bisschen traurig. In Kalifornien gibt es 15 Milliarden US-Dollar pro Jahr Venture-Capital. Bei uns waren es glaube ich 670 Millionen im letzten Jahr, das ist dann eher eine homöopathische Dosis und es kann auch nicht sein, dass die Wagniskapital-Debatte immer beim nächsten Sparkassenfont endet, obwohl das toll ist, dass sich die öffentlichen Banken daran beteiligen. Es geht schon auch um eine Kultur der Investitionen auch von denen, denn Geld gibt es in Deutschland ausreichend und es ist irgendwie schon ein bisschen traurig, wenn man in eine Start-Up-Factory in Deutschland geht und dann trifft man Eric Schmidt von Google, der dort die Unternehmen sucht, die er finanzieren kann. Und wenn eine große Investorenkonferenz statt findet ist kein einziger der DAX 30 Konzerne da. Das muss sich in unserem Land ändern, sonst werden wir das nicht schaffen.“
Sigmar Gabriel: „Ich habe vor etwa einem Jahr mit der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen mit dem Initiativkreis Ruhr eine Ruhrgebietsinitiative angestoßen, bei der wir einen Ruhrplan entwickeln wollen. Unser gemeinsames Ziel ist es jungen, aber eben auch älteren Unternehmen im Ruhrgebiet bessere Rahmenbedingungen zu bieten. Ich bin überzeugt davon, dass Politik viel tun kann, was auch hier in dem Bereich die Bedingungen für Innovationen verbessern. Dazu gibt übrigens der Bund mehr Geld für höhere kommunale Investitionen an Nordrhein-Westfalen. Wir haben 1,1 Milliarden aus dem neu aufgelegten Kommunalen Investitionsprogramm, das insgesamt 3,5 Milliarden hat, nach Nordrhein-Westfalen gegeben. Weit mehr, als das Land sonst nach dem berühmten Königsteiner Schlüssel erhalten könnte und Bund und Land werden darüber hinaus eine Vielzahl von konkreten Projekten, hier insbesondere im Ruhrgebiet im Bereich moderner Infrastruktur, Energiewende, digitale Agenda, finanzieren. Zum Beispiel den Deltaport an der Lippe-Mündung oder auch ein digitales Kompetenzzentrum für den Mittelstand. Das Ministerium für Wirtschaft und Energie hat bei einer Reihe von Einzelprojekten im Bereich der digitalen Agenda, aber auch der Elektromobilität, Anbieter aus dem Ruhrgebiet berücksichtigt und vor allen Dingen mit dem Programm Schaufenster intelligente Energie … also der sozusagen Digitalisierung der Energiewende glauben wir, dass wir im Ruhrgebiet eine menge Potentiale sehen, die wir auch fördern wollen.“
Sigmar Gabriel: „Meine Damen und Herren irgendwann in den 80er Jahren haben die Fans des VfL Bochum ihre Mannschaft „Die Unabsteigbaren“ getauft. Ich fand immer, das passt irgendwie ganz gut zum Ruhrgebiet. Das Ruhrgebiet ist auch unabsteigbar, denn das sagt ein bisschen über den Kampfgeist hier im Pott aus. Und Jahr für Jahr spielte der VfL gegen den Abstieg und Jahr für Jahr schaffte er den Klassenerhalt und als der Abstieg dann eben doch kam, wurde eben die Rückkehr der Unabsteigbaren angekündigt und die Aussichten, dass die Unabsteigbaren am Ende der Saison wieder der ersten Liga angehören, die stehen ja auch nicht so ganz schlecht. Auch das passt eben zu Bochum und zum Ruhrgebiet insgesamt, es kommt immer wieder zurück. Der Strukturwandel ist anstrengend, keine Frage, aber er trainiert eben auch die Kräfte und Muskeln wachsen in der Bewegung. Man lebt hier in der Region nicht um keine Probleme zu haben, also wer sich das im Leben wünscht, der geht wahrscheinlich woanders hin. Aber man lebt hier um Probleme zu lösen und Reibung erzeugt bekanntlich auch Wärme. Eine Region muss Brücken bauen und eine Region muss sich vernetzen, zwischen den Generationen, den sozialen Milieus, zwischen Kunst und Kultur ... by the way ... was an Kunst- und Kulturangeboten im Ruhrgebiet herrscht, da werden aber 90% aller anderen Regionen in Deutschland erheblichen Neid entwickeln.“
Sigmar Gabriel: „Vergangenheit und Zukunft muss man auch vernetzen und das sind die besonderen Stärken der Menschen im Revier, diese Vernetzungen herzustellen. Die Ruhr-Universität hat in den letzten 50 Jahren sehr viele gut ausgebildete Menschen ins Ruhrgebiet bewegt. Sie ist heute der Rohstoff, aus dem die Stärke der Region wächst und ich bin fest überzeugt davon, dass das Ruhrgebiet in Zukunft ein wichtiger Wirtschaftsraum einer vernetzten Welt bleiben wird. Die Voraussetzung dafür, die Chancen einer globalen, digitalisierten, also datengetriebenen Wirtschaft zu nutzen sind aus meiner Sicht hier besser als anderswo. Daran weiter zu arbeiten, daran glaube ich haben viele Leute auch viel Spaß und zum Nutzen und Wohl der Menschen im Ruhrgebiet sagt man ja bis heute: „Glück auf.“ Glück auf für die Ruhr-Universität, aber auch hier für Bochum und das Ruhrgebiet. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.“
Moderator: „Herr Bundesminister, vielen Dank für diese Analyse und ganz besonders Dankbar sind wir Ihnen natürlich für die wirklich zu Herzen gehende Art, wie Sie die Situation unserer ganzen Region erfasst haben und wie Sie die beschrieben haben. Das VfL-Beispiel ist ja nur das letzte gewesen, aber Sie haben glaube ich wirklich die wesentlichen Punkte die uns hier bewegen und die auch dazu beitragen, dass wir uns neu aufstellen und organisieren wirklich auf den Punkt gebracht, dafür bin ich ganz besonders dankbar. Wir haben Gott sei Dank noch Zeit zur Diskussion. Ich würde mal in die Runde fragen, ob es bereits Wortmeldungen gibt ...“
Sigmar Gabriel: „Na trauen Sie sich mal. Jetzt haben Sie einen von denen vor sich, über den Sie sich sonst im Fernsehen ärgern, nun mal los.“
Moderator: „Okay, da sind schon mal zwei, wir fangen vielleicht hier auf der Seite an ja … ja kariertes Hemd.“
Zuschauer: „Ja sehr geehrter Herr Gabriel, meine Damen und Herren, mein Name ist Nils B. ich komme aus dem wunderschönen SPD-Unterbezirk Bottrop. Eine Region, die ja noch vom Bergbau geprägt ist und unsere Stadt die lebt auch noch davon, aber auch 2018 ist da Schluss und wir sehen allgemein im Ruhrgebiet große Unternehmen, die fort wandern oder schließen und da müssen Strategien entwickelt werden, um das zu kompensieren. Wie kann das in Zukunft möglich sein, dass große Industriestandorte, vielleicht durch Dienstleistungen, durch Wissenschaft kompensiert werden und wir den Menschen hier vor Ort Berufsmöglichkeiten bieten, die vielleicht auch gut bezahlt sind, denn Ziel kann es nicht sein, dass prekäre Beschäftigung weiter ausgebaut wird ... und meine Frage jetzt ganz speziell: Wie können wir das Ruhrgebiet auch interessant für Industriestandorte machen?“
Sigmar Gabriel: „Also erstens gibt es natürlich keine Bilderbuch-Antwort dafür. Da geht einer weg, wie kriege ich den nächsten hin ... das sehen Sie in Ostdeutschland, wo dieser Strukturwandel viel stärkere Brüche produziert hat, als im Ruhrgebiet und ist ein bisschen ein Hinweis auf Ihre Frage. Das Ruhrgebiet, auch Bottrop und andere Teile des Ruhrgebiets haben ein paar Bedingungen, die man dafür nutzen kann mittelständische Unternehmen zu fördern und anzusiedeln, weil die großen Konzerne bilden sich heutzutage nicht neu. Diese Infrastruktur-Bedingungen: qualifizierte Leute, Verkehrswege, Industrie- sozusagen nahe Dienstleistungen, haben oft in Ostdeutschland gefehlt, bei Ihnen haben sie sie. Ich will mal ein Beispiel machen, was ich machen könnte, wenn ich einen Wunsch frei hätte. Ich würde in solchen Gebieten die vom Strukturwandel betroffen sind, da würde ich anfangen die schnellsten Internetverbindungen zu ermöglichen. Ich würde dort nicht auf Vectoring oder sonst irgendwas und nicht mit 50 Megabit pro Sekunde zufrieden sein, sondern da Glasfaser hinbringen. Als erstes übrigens in die schwierigen Stadtteil, die Stadtteile wo wir ja wissen, dass da die soziale Problematik häufig sehr groß ist. Einfach weil das zur Folge haben wird ... und dann würde ich mir Wohnraum beschaffen, den ich jungen Unternehmen kostenfrei zur Verfügung stelle. Was meinen Sie wie schnell sich die soziale Zusammensetzung eines Straßenzuges, eines Stadtteiles verändern würde. Damit will ich mal anfangen und ansonsten geht es oft darum, die Unternehmen, die da sind mit denen zusammen zu arbeiten um ihre Möglichkeiten für wirtschaftliche Entwicklung gut zu halten.“
Sigmar Gabriel: „Die Hoffnung, dass man sagt, das gab es mal so in den 70er Jahren als die ersten Schwierigkeiten da waren, dann haben alle gesagt: „Ja dann gucken wir nach den Großansiedlungen.“ Diese Großansiedlungen wird es nicht mehr geben. Sondern es gibt eher die Ansiedlungen, ich komme auch aus so einer Stadt, die Stadt Goslar war ein Hüttenstandort. Nicht für Kohle, aber für Nicht-Eisenerz-Metalle. Wir hatten tausende von Arbeitsplätzen auf dem Hüttengelände und wir haben in den 70er Jahren gedacht: „Na lass uns mal lieber an einer ganz anderen Stelle ein Gewerbegebiet für den Produzierenden Mittelstand ansiedeln. Und wir haben heute in diesem Gewerbegebiet mehr Arbeitsplätze, also wir früher auf dem Hüttengelände hatten. Das heißt Sie werden eher gucken müssen, wie entwickeln sie mittelständische Unternehmen, was brauchen die für einen Rahmen ... übrigens eines der wichtigsten Dinge, die die brauchen ist qualifizierte Fachkräfte und das wird ein knapper Rohstoff. Der demografische Wandel, den wir vor uns haben, das ist ja ein Industrieexperiment, das noch kein Land der Erde machen musste ... in weniger Jahren verlieren wir sechs Millionen Arbeitskräfte. Nun wird das den großen immer noch leicht fallen Leute zu finden, weil die einfach besser zahlen. Was mit ... und jetzt rede ich nicht über prekäre Beschäftigung, sondern ganz normale Tariflöhne in der Metallindustrie oder im Handwerksmeister. Wie bekommen die Nachwuchs? Das wird nicht ganz ohne sein, deswegen muss man in Bildung investieren.“
Sigmar Gabriel: „Wir haben immer noch zu hohe Schulabbrecherquoten, wir wissen, dass in manchen Stadtteilen Bildungsferne vererbt wird und sozusagen die Kinder ihre Potentiale nicht ausschöpfen können. Da wohnen die Fachkräfte von morgen und die werden diese Unternehmen brauchen, sonst gehen sie da hin, wo sie diese Fachkräfte finden und deswegen gibt es einen engen Zusammenhang zwischen Bildung und Qualifizierung und Erhalt von Arbeitsplätzen und Erschaffung von Arbeitsplätzen. Aber ein Bilderbuch, dass man sagt: „Das mache ich jetzt, leg ich einen Schalter um und dann sind tausend Jobs da“. Das gibt es nicht, die Lage ist etwas komplizierter, aber ich finde ... schauen Sie sich um im Ruhrgebiet, das ist doch erstaunlich, was sich in den letzten Jahren hier getan hat.“
Moderator: „Vielen Dank, ich habe eine weitere Frage von Herrn Radke.“
Zuschauer: „Drei kurze Fragen. Die Reglungswut, die Dichte, die Bürokratisierung ist etwas, was uns schon betrifft. Allein eine Elektrostättenverordnung, ich habe viele Leute jetzt einstellen müssen, die jetzt in jedem Büro prüfen, ob die Kaffeemaschine richtig läuft oder nicht. Dafür musste ich einige Wissenschaftlerstellen abziehen, das Geld ist ja nur endlich.“
Sigmar Gabriel: „Sie müssen immer aufpassen, wenn Sie mir solche Beispiele nennen, könnte es sein, dass ich nachgehe, ob das stimmt.“
Zuschauer: „Ja, das stimmt. Das stimmt. Der Punkt ist die Lebenssicherheit, irgendwann müssen wir sterben und man kann unser Leben so sicher machen mit aller Regelung, das ist wünschenswert, aber es ist die Frage, ob wir eine Überregulierung, die aus sich selbst heraus lebt, ob das so sein muss. Also wie gesagt die Regelungsdichte hemmt, und deswegen komme ich dazu, hemmt das nicht vielleicht ein bisschen auch die Innovationsfreudigkeit von dem ein oder anderen, dass er woanders geht, wo man schneller etwas entwickeln kann. Und da ist die Frage, wenn es in Deutschland auch etwas schwierig ist die homöopathischen Dosen von 600 oder 700 Millionen einzutreiben. Wenn die Kultur eine andere ist und man konstatiert das, kann nicht dann schon die öffentliche Hand oder der Staat im Venture-Kapitalbereich deutlicher investieren und eine stärkere Marke setzen. Und im dritten Thema da kann man sagen, ja die Universitäten möchten einfach mehr Geld. Nein, die Betreuungsverhältnisse haben sich die letzten Jahrzehnte verändert, verschlechtert. Die Qualität dessen, wir tun was möglich ist, Sie haben vieles positives gesagt auch über das Ruhrgebiet und auch die Vernetzung unserer Universitäten, aber die Qualitätsfrage wer aus der Universität heraus kommt ist auch etwas was mit Betreuung zu tun hat und eine Investition in diesem Bereich und da sind die Versprechungen von den Prozentzahlen, die erreicht werden sollten, die wir im internationalen Bereich erreichen sollten, sind noch nicht erreicht und das wäre auch etwas, ob man nicht in diesem Bereich stärker auch und sichtbarer investieren kann. Vielen Dank.“
Sigmar Gabriel: „Ja die Antwort, wenn jemand sagt wir haben zu viel Bürokratie, kann ja nur ja lauten. Da ist Ihnen aber noch nicht mit geholfen nehme ich an. Ja Sie selbst produzieren mit Bürokratie. Wenn wir jetzt mal Ihre Uni untersuchen oder Ihren Forschungsbereich, wir werden eine Menge dabei finden, wo Sie selber dazu beitragen, indem Sie neue Erkenntnisse haben, indem irgendjemand eine Sicherheitsfrage an Sie stellt. Die Mehrzahl der Dinge, die wir da entwickeln, wie kommt das denn zustande ... zum Beispiel durch Versicherungsrecht, durch den Gemeinde Unfallverband, durch Richterrecht, gelegentlich auch durch Ideen aus der europäischen Union. Wir haben deshalb jetzt folgendes gemacht: Ich hab ein Gesetz eingebracht in den deutschen Bundestag. Ein bisschen über Spitzlaute das One-In-One-Out, diese Regel heißt: „Wenn ein Minister einen Gesetzentwurf ins Kabinett einbringt, dann haben wir seit einigen Jahren die sinnvolle Einrichtung, dass der sogenannte Normen Kontrollrat die damit ausgelösten Bürokratie-Kosten berechnet und dann muss der Minister einen Vorschlag machen, wie er die gleiche Summe an anderer Stelle abschafft.“
Sigmar Gabriel: „Das ist ein spannendes Experiment. Die Bereitschaft das Gesetz zu verabschieden war, wie soll ich das sagen, unterentwickelt. Wir haben es dann aber hingekriegt und natürlich wird das, das ahne ich auch schon, nicht immer eins-zu-eins funktionieren. Ich glaube aber, dass das ein heilsamer Druck ist. Wenn jemand überlegt, ich muss in meinem Geschäftsbereich, also ich als Wirtschaftsminister bringe was ein, das löst irgendwie 500 Millionen Bürokratie-Kosten aus, jetzt muss ich in meinem Geschäftsbereich, nicht bei wem anders, sondern bei mir etwas suchen, wo ich 500 Millionen Bürokratie-Kosten einspare, da überlege ich mir drei mal wie ich das Gesetz mache, das ich da jetzt gerade ins Kabinett einbringen will. Es ist glaube ich ein heilsamer Druck das zu tun. Ich will trotzdem mal eine Lanze für das brechen, was wir gelegentlich überbordende Bürokratie nennen. Wenn Sie mit Unternehmen sprechen, die zum Beispiel in Ländern wie Italien sind oder Russland. Aber Italien würde ich sagen akzeptieren Sie, weil bei Russland schütteln Sie schon mit dem Kopf aber ...“
Zuschauer: „Ich habe in Italien gearbeitet ja.“
Sigmar Gabriel: „Ja nichts ist schlimmer, als die italienische Finanzbürokratie. Ja aber bis hin dazu, dass es strafrechtliche Folgen haben kann. Die deutschen Unternehmen dort sehnen sich sehr nach einer geordneten bürokratischen Verwaltung und man muss auch immer ein bisschen aufpassen, gibt zum Beispiel jetzt Leute die sagen: „Warum haben wir so viele Brandschutzvorschriften und bauen nicht schneller Asylbewerbereinrichtungen ohne Brandschutz?“ An dem Tag an dem eine solche Einrichtung brennt und dadurch Menschen zu Tode kommen, wird die Debatte eine völlig andere sein. Ich bin deswegen manchmal bei sozusagen einer allgemeinen Philippika über die deutsche Bürokratie ein bisschen vorsichtig, weil es ja irgendwie einen Grund haben muss, dass wir trotzdem ganz erfolgreich sind und einer der Gründe könnte sein, dass Verlässlichkeit auch was wichtiges ist. Trotzdem haben Sie recht und ob jetzt wirklich alles, was die Europäische Union uns als wichtigen Beitrag zur Absicherung unseres Lebens empfiehlt nötig ist, darüber kann man auch streiten. Die Europäische Union kümmert sich nach meinem Eindruck um Dinge, um die sie sich lieber nicht kümmern sollte und dafür kümmert sie sich um andere Dinge nicht, um die sie sich kümmern sollte. Das ist glaube ich ein Auftrag, aber gut jetzt mit One-In-One-Out kommen wir dann an Ihren Fachbereich und gucken, wie das mit den Kaffeemaschinen ist.“
Sigmar Gabriel: „Die zweite Frage war Venture-Capital? Ich glaube die zweite Frage war Venture-Capital? Die Innovationsfreudigkeit ist ja gar nicht ... wir haben ja eine ganz gute Start-up-Szene, die ist ja gar nicht schlecht. Der Rückgang von Gründungen jetzt zur Zeit, hat was mit der guten wirtschaftlichen Lage zu tun. Es gibt einfach in einer guten wirtschaftlichen Lage entscheiden sich Menschen eher für ein Beschäftigungsverhältnis, bei dem sie gut verdienen können und ihren beruflichen Werdegang machen können und bei schlechterer überlegen sie sich, ob ich statt Arbeitslosigkeit nicht in die Selbstständigkeit gehe. Deshalb gibt es einen Zusammenhang zwischen steigender Gründungstätigkeit und schlechter Konjunktur und umgekehrt. Trotzdem haben wir nach wie vor in der Gründungsphase, in der Seed-Phase kein Problem. Unser Problem ist in der Wachstumsphase, in der Internationalisierung. Da wo sozusagen dann die ersten 20, 30, 40, 50 Millionen nötig sind. Wir haben als Staat, wir haben zum Beispiel die KfW jetzt gerade zurück geholt als Ankerinvestor mit einem 500 Millionen Fonds, wir haben eine ganze Reihe, wir haben die europäischen Programme jetzt genutzt, um als Staat mehr Wachstumskapazitäten anzubieten, aber das alles wird am Ende nicht ausreichen. Also auch da, wenn ich mir was wünschen könnte würde ich sagen ich brauche mal einen der den Mut dazu hat, eine Bank zu gründen wie der Mark Zuckerberg in Kalifornien. Wo an der Spitze eben nicht nur Bänker sitzen, die nach Basel III sich absichern, ob sie nicht was falsches entscheiden, sondern wo IT-Spezialisten sitzen, die von 10 Vorschlägen sagen: „Die acht mache ich, davon werden zwei überleben und es wird mit denen return und investment geben, den ich in die zehn oder die acht hinein gesteckt habe“.“
Sigmar Gabriel: „Also diese Kultur … ich meine manchmal muss man ja den Banken sagen,wenn ihr bei euren eigenen Fehlinvestitionen so sehr aufgepasst hättet, wie heute bei jungen Unternehmensgründern, dann wären uns ein paar Billionen auf der Welt erspart geblieben, die wir haben ausgeben müssen, weil ihr euch selber sozusagen mehr genehmigt habt, als ihr so einem kleinen Mittelständler genehmigen wollt. Also ich würde sagen es darf nicht alles nur am Ende am Staat … ist ja auch eine Ordnungspolitische Frage, ob am Ende sozusagen die Mehrzahl des Unternehmerischen Risikos, der Gründung durch den Staat übernommen werden soll da … ich meine ich bin Sozialdemokrat bei mir würden sie wahrscheinlich eher verdächtigen, dass ich zu viel machen will da, aber ich bin da zurück haltend. Ich halte viel von dem Bild der Order-Liberalen, bei dem der Staat den Rahmen setzt, aber vorsichtig ist mit eigenen Tätigkeiten. Und der dritte Punkt? … Ja wir haben ein Ziel in Europa, 3% vom Bruttoinlandsprodukt für Forschung und Bildung auszugeben, wir haben etwas 2,98 erreicht. Das liegt daran, dass wir ganz gutes Wirtschaftswachstum haben, das ist weit mehr als der Rest Europas, der Durchschnitt liegt bei 2% und ich würde sagen das reicht nicht. Ich glaube, dass Sie recht haben, dass sich Deutschland das Ziel setzen muss zum Beispiel bis 2025 auf 4% zu kommen. Südkorea geht glaube ich auf 4,5 und 5. Also das sind die Benchmarks, auf die wir orientieren müssen. Wir müssen in den nächsten Jahren unseren Anteil für Forschung und Bildung deutlich erhöhen und ich finde 4% wäre der nächste Schritt, den wir auch schaffen können, das ist ja nicht so, dass man das nicht hin kriegen kann, aber die 3% finde ich werden auf Dauer nicht ausreichen.“
Moderator: „Dankeschön, ich habe jetzt zwei Wortmeldungen noch, da hinten sehe ich auch noch eine okay. Ich darf deswegen um kurze Fragen bitten.“
Sigmar Gabriel: „Jetzt dürfen nur noch Studierende was fragen. Nur noch Leute unter 30. Nein das zählt nicht. Ja gut Sie und dann aber zwei, drei von den Studierenden ja okay? Wehe Sie melden sich nicht.“
Jürgen Schlegel, Vorsitzender des Hochschulrats der Ruhr-Universität Bochum: „Herr Bundesminister, ich bedanke mich sehr, dass Sie mir die Frage noch gestatten. Ich heiße Jürgen Schlegel, bin Vorsitzender des Hochschulrats der Ruhr-Universität Bochum, wohne in Köln und komme ins Ruhrgebiet regelmäßig entweder über die A43 oder über die A52, daran zwei Bemerkungen geknüpft. Wenn Sie an der Autobahn, an der A43 vorbei fahren und ans Ruhrgebiet ran fahren, was sehen Sie auf dem braunen Schild am Rande der Autobahn? Einen Förderturm als Kennzeichen des Ruhrgebiets, ist eigentlich hinter der Zeit. Da müsste die Ruhrgebiets-Politik sich mal was überlegen. Zweite Bemerkung, wenn Sie von Essen nach Bochum fahren, dann merken Sie die unterschiedlichen Städte nicht mehr an der Landschaftsgestaltung, sondern nur noch an den Autobahnausfahrtsnamen. Das ist eine Einheit, haben wir nicht zu wenig Gemeinsamkeit in der kommunalen Politik im Ruhrgebiet?“
Jürgen Schlegel: „Und jetzt kommt die Frage an Sie und nicht an den Wirtschaftsminister, sondern einen Vizekanzler der ja die gesamte Kabinettspolitik so ein wenig im Auge hat und Sie wissen, dass die Universitäten, die Hochschulen der Bundesrepublik im Augenblick in großer Aufregung sind um die Fortsetzung dessen, was wir Exzellenzinitiative nennen. Wir im Ruhrgebiet haben und die Hochschulräte der drei Hochschulen unterstützen das nachhaltig mit der UA Ruhr. Einen Zusammenschluss, einen lockeren Zusammenschluss geschaffen, der Vorteile in der Forschung, vor allen dingen aber auch Vorteile in der Lehre bringt. Wir wissen immer noch nicht genau ob diese Art von zusammenwirken von Hochschulen in einer zukünftigen Initiative, an der sich der Bund maßgeblich beteiligt, eine Chance besonderer Forderung hat. Ist die Diskussion um die Nachfolge der Exzellenzinitiative im Bundeskabinett-Strang so weit gediehen, dass Sie uns als Vizekanzler einen gewissen Ausblick geben können, wie sich das entwickelt?“
Sigmar Gabriel: „Leider nein. Die letzte Frage näherte sich einem mündlich gestellten Förderantrag. Was ich Ihnen versprechen kann ist, dass ich, weil ich das gut finde, dass ich das gerne unterstützen will. Weil ich auch ein bisschen weich bin. Gibt andere die haben das versucht und da klappt es nicht, manchmal auch weil sie ein bisschen weit auseinander liegen, bei Ihnen scheint das dicht zu sein und deswegen ich würde das gerne, wenn Sie mir die Gelegenheit dazu geben und mir ein bisschen noch was darüber schicken, will ich das gerne unterstützen auch gegenüber den Kolleginnen und Kollegen im Kabinett, weil das natürlich schon etwas ist, was nach Möglichkeit Schule machen sollte auch in anderen Teilen der Republik. Was die Frage angeht des Images des Ruhrgebiets. Sie müssen immer sehen, es gibt natürlich auch eine Verbundenheit der Menschen mit dieser Tradition des Bergbaus. Bei mir ist das auch so, wenn Sie bei uns vorbei fahren gibt es ein Schild „Weltkulturerbe“, ist ein Förderturm zu sehen. Die Bayern haben es wahrscheinlich schlauer gemacht, die reden immer von Laptop und Lederhose irgendwie … man muss da wahrscheinlich was suchen, was … Tradition ist ja nichts Schlechtes.“
Sigmar Gabriel: „Sich darüber bewusst zu sein, dass hart industrielle Arbeit die Grundlage des Wohlstands dieses Landes war, dass hier der Wohlstand Deutschlands erarbeitet wurde und zwar mit wirklich harten und manchmal lebensbedrohlichen Bedingungen. Das ist ja was gutes, sich daran zu erinnern, das nicht aus dem Blick zu verlieren. Macht die Menschen übrigens, so hab ich die im Ruhrgebiet immer erlebt, auch stolz auf ihre Heimatregion. Das zu verbinden mit, das meinte ich vorhin, mit auch sozusagen einem Zukunftsoptimismus und Symbolen dafür, was daran schon gelungen ist. Das wäre wahrscheinlich das was, jetzt bildhaft gesprochen, an der Autobahn stehen müsste. Sie haben doch bestimmt eine Kreativabteilung hier, lassen Sie mal die Studentinnen, die Studenten, die Studierenden darüber nachdenken, ich bin ziemlich sicher die haben schlaue Ideen.“
Moderator: „Wir nehmen das gerne auf, Herr Minister, Sie haben noch zwei Stimmen hinten gesehen, die wir vielleicht schnell aufrufen können, wir haben jetzt noch ungefähr drei Minuten, ich bitte sich also möglichst kurz zu fassen, möglicherweise nehmen wir auch zwei hintereinander, die Sie dann zusammen verarbeiten können. Rufen Sie die auf, die Sie als erste gesehen haben?“
Sigmar Gabriel: „Hier vorne meldet sich schon jemand, der hat auch ein kariertes Hemd, das ist scheinbar hier in Mode. Ich habe auch noch eines, aber das passt mir nicht mehr und dann vielleicht ganz hinten. Vielleicht fangen Sie hier vorne an.“
Zuschauer: „Alles klar. Sehr geehrter Herr Gabriel, ich bin Student an der Uni hier, bin unter 30 und habe ein persönliches Anliegen. Im Bezug auf die Flüchtlingssituation in der Welt und mich würde es sehr freuen, wenn Sie persönlich versuchen würden diese Scheindebatten, die in der Politik geführt werden, wie zum Beispiel jetzt aktuell der Nachzug von syrischen Familien, in irgendeiner Art und Weise unterbinden würden oder da einschreiten würden, ein Stück weit deutlicher zeigen würden, dass das Scheindebatten sind, die schwachsinnig sind und viel mehr da zu helfen, wo es wirklich gebraucht wird, da die Probleme zu lösen, wie zum Beispiel in den Flüchtlingslagern in Jordanien oder in der Türkei oder sonst wo und wirklich die Probleme auch zu lösen, da wo sie sind und nicht da, wo sie halt scheinbar erzeugt werden. Das ist mein persönliches Anliegen, weil es mich in letzter Zeit sehr sehr ärgert immer wieder solche Sachen in den Nachrichten zu hören von unterschiedlichsten Politikern.“
Sigmar Gabriel: „Mit dem Unterbinden ist das in der Demokratie so eine Sache. Scheinbar müssen Sie sich mal untereinander treffen. Nein wissen Sie, ich sag Ihnen mal, warum ich die Debatten der letzten Tage und Wochen falsch fand: Erstens in der Tat, es ging um idiotische Themen. Wissen Sie wir haben einen Familiennachzug von syrischen Flüchtlingen im letzten Jahr von 18000 Menschen gehabt. Wer jetzt so tut, als ob durch eine Reduktion des Familiennachzugs … die eigentliche Debatte ist ja, wir wollen nicht mehr so viel rein kriegen. Es gibt einfach Teile der Politik die sagen: genug ist genug. Und weil die Grenzen nun mal nicht zu zu machen sind, jedenfalls nicht ohne dass man da Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett hinstellt, gibt es so Ersatzhandlungen. Dann wird so getan, wenn wir den Familiennachzug stoppen, dass dann weniger kommen. 18000 weniger wären es dann, das heißt es ändert an der Lage gar nichts. Im übrigen kann man sich auch fragen, ob es eigentlich in Ordnung ist die jungen Männer einzuladen und die Kinder im Krieg zu lassen. Darüber kann man ja auch trefflich streiten, deswegen. Die Debatte um Transitzonen war genau so dämlich, weil wie sollen wir an einer Grenze ein Exterritoriales Gebiet machen, wo täglich 10000 Menschen, so stand es im Gesetzentwurf, in Haft genommen werden, ich weiß nicht, da hätte ich das Stadion von Bayern München ruck zuck gefüllt.“
Sigmar Gabriel: „Das sind alles Ersatzhandlungen. Es gibt Dinge, die wir im Land machen müssen. Mein Dreiklang ist immer helfen, ordnen und steuern. Helfen heißt wir werden eine Jahrzehnts-Aufgabe vor uns haben für eine nachhaltige Integrationsstruktur. Das geht beim Wohnen los, wir müssen auch aufpassen, dass nicht in Großstädten die, die hier leben die Sorge haben, dass sie die Mieten nicht mehr bezahlen können, weil immer mehr in die Großstädte kommen. Also bitte kein Flüchtlingswohnungsbau, sondern Wohnungsbau für alle die eine bezahlbare Wohnung brauchen. Bildung, Kindertagesstätten, Qualifizierung ist eine Aufgabe von über einem Jahrzehnt. Ich glaube Ordnung heißt, wir müssen schon auch im Land Ordnung schaffen, wir haben zum Teil eben Zustände, die wir nicht akzeptieren können. Wir müssen wissen wer hier ist, wir müssen wissen wo sie hin gehen und wir müssen diejenigen, die hier bleiben von denen trennen können, die keine Bleibeperspektive haben. Das ist finde ich auch eine angemessene Aufgabe eine Staates und die Menschen, die sagen das ist nicht in Ordnung, dass ihr das nicht wisst und nicht im Griff habt, die haben Recht und das müssen wir ändern. Das dritte ist: Steuern. Wie steuert man die Zuwanderung von Flüchtlingen? Da haben Sie die richtige Antwort gegeben, die ist mit nationalen Instrumenten nicht zu steuern. Wir haben keine Zugbrücke die wir hochziehen können, um Deutschland oder Europa und deswegen geht es eigentlich um drei Dinge: Erstens in den Flüchtlingslagern und in den Ländern in denen die Mehrzahl der Flüchtlinge hingeht und das ist nicht Europa. Von 21 Millionen Syrern sind 11 Millionen auf der Flucht, 4 Millionen außerhalb der Region. Der Rest ist dort und von den 4 Millionen sind auch noch mehr als 2 in der Türkei. Das heißt wir müssen in Jordanien, in Libanon, in der Türkei helfen bessere Bedingungen für die dort lebenden Flüchtlinge zu schaffen.“
Sigmar Gabriel: „Ich war in einem solchen Flüchtlingslager in Jordanien, dort hat vor einem halben Jahr kein Mensch über Europa geredet, aber inzwischen ist das Welternährungsprogramm von 27 Dollar pro Kopf und Monat auf 13 gekürzt. Inzwischen hat der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen zu wenig Geld um die Krankenhäuser dort aufrecht zu erhalten und die Schulen. Und dann beginnen Menschen natürlich zu sagen: Okay, Motto der Bremer Stadtmusikanten „Etwas besseres als den Tod finden wir überall und gehen auf den Weg.“ Dann verkaufen sie den Rest ihrer Habe um die Schlepper zu bezahlen und hauen ab. Also erstens in den Regionen helfen. Deutschland tut mehr, als alle anderen und wir sind übrigens auch die, die wenn es Verabredungen gibt, diese Verabredungen einhalten und es ist nicht in Ordnung, dass es andere nicht tun. Es gibt auch noch ein paar Länder die müssten mehr tun und ich sage auch in aller Offenheit, das betrifft auch die Golfstaaten. Die müssen eigentlich am meisten Angst vor der nächsten Terroristengeneration haben, die in den Flüchtlingslagern sonst heranwächst und auch die Vereinigten Staaten, weil sie Teil der Ursache sind für das Chaos, das wir im nahen Osten haben.“
Sigmar Gabriel: „Das Zweite was wir machen müssen ist … wir werden alles unternehmen müssen um in Syrien die Fluchtursache, nämlich den Krieg und den Bürgerkrieg zu begrenzen. Heute ist die zweite Sitzung in Wien, die ein bisschen Hoffnung schafft. Es wird ja manchmal darüber gelästert die Diplomaten fahren durch die Welt und kommen nicht gleich mit einen Friedensvertrag zurück. Die Diplomatie ist die einzige Möglichkeit das zu tun und es war vor 14 Tagen so, dass Russland und Amerika erstmals dort gemeinschaftlich mit Saudi Arabien und dem Iran an einem Tisch saßen. Das was wir in Syrien erleben ist in zweifacher Hinsicht ein Stellvertreterkrieg. Schiiten gegen Sunniten, Saudis gegen den Iran, aber natürlich auch lange Zeit zwischen den Vereinigten Staaten und Russland. Etwas was wir aus dem kalten Krieg kennen. Deswegen ist die Voraussetzung erst diese Stellvertreterkriege zu beenden um dann auch gemeinschaftlich gegen ISIS kämpfen zu können. Da gibt es erste leise Hoffnungszeichen. Und die dritte Sache die wir schaffen müssen ist, wir werden zwei Dinge kombinieren müssen. Die Sicherung der europäischen Außengrenzen. Ist eine Schande, dass wir das nicht schaffen. Offene Grenzen in Europa kann es nur unter der Bedingung geben, dass die Außengrenzen Europas gesichert sind und dann aber das nicht als Mauer zu verstehen rundum Europa, sondern damit zu verbinden sichere Kontingente, auch in großer Zahl, die jedes Jahr nach Europa, nach Deutschland kommen können. Also die Grenzsicherung zu verbinden mit Zuwanderung, die aber in der alten Kontingentzuwanderung erfolgt.“
Sigmar Gabriel: „Von mir aus auch eine halbe oder eine dreiviertel Million jedes Jahr, aber eben nach dem Motto „Frauen und Kinder zuerst“ und ohne Schlepper, sondern mit der Fähre, mit der Bahn, mit dem Flugzeug. Und ich glaube das ist das, was wir schaffen müssen, das heißt wir brauchen Flüchtlingsunterbringungen des hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nation in der Türkei, in Jordanien, im Libanon. Und wir müssen die Menschen von dort auch in großer Zahl hier her holen und ihnen sagen „Lieber wartet dort ein oder zwei Jahre bis ihr dran seid, als dass ihr euer Geld für Schlepper ausgebt. Aber das heißt, dass wir auch die Außengrenzen der Europäischen Union sichern müssen, das können wir zur Zeit nicht. Die beiden Dinge gehören zusammen, sonst werden die Schlepper weiter mit, sozusagen letztlich mit dem Leben der Menschen dort spielen. Die Reise nach Europa darf nicht für Flüchtlinge eine gefährlichen und lebensbedrohliche Reise bleiben, das ist das was wir schaffen müssen und das ist der Dreiklang an dem … ich sehe ein bisschen an Ihrem Gesicht, dass Sie mit den sicheren Grenzen nicht einverstanden sind, aber da haben wir dann einen Dissens. Also was nicht gehen wird ist, dass dieses Land alleine in der Lage ist jedes Jahr 1 bis 1,5 Millionen Flüchtlinge aufzunehmen. Wer das glaubt, der muss ein bisschen in die Städte gehen und gucken. Irgendwann ist die letzte Turnhalle belegt und man muss auch ein bisschen aufpassen, dass wir … wissen Sie die Helden der Integration, die sitzen nicht in Politiker-Büros, aber auch nicht im Hörsaal. Die sitzen in den Stadtteilen, in denen die Menschen dann leben. Wenn Sie wollen, nehme ich Sie mal mit.“
Sigmar Gabriel: „Ich mache Ihnen mal ein Beispiel. In Duisburg gibt es ein Hochhaus, ein Hochhaus das gehört einem türkischen Bordellbesitzer, dort hat der Roma untergebracht in unfassbaren Zuständen. Das hat sich ausgeweitet lange zeit, Gott sei Dank inzwischen nicht mehr. Gegenüber wohnen Menschen, die auf der Hütte mit dem bisschen Geld was sie verdient haben, ein kleines Reihenhaus sich erspart haben. Diese Reihenhäuser sind nichts mehr wert, wenn Sie die verkaufen wollen. Und die Leute die da wohnen sind nicht ausländerfeindlich, sie versuchen miteinander klar zu kommen, sie ertragen die Hitze die das bringt im Stadtteil, sie überwinden ihre Angst. Das sind die wahren Helden der Integration. Nicht, entschuldigen Sie, die Klugscheißer die darüber reden, sondern die die das im Alltag machen. Und die Helden der Integration sind die die jetzt helfen, klar. Aber das Leben mit fremden Kulturen, mit unangenehmen Dingen, mit Sachen die einem Angst machen, mit Dingen mit denen man nicht klar kommt. Das ist das was wir schaffen müssen und das ist eine Aufgabe bei der wir unsere eigene Gesellschaft auch zusammen halten müssen. Wir haben zwei Aufgaben der Integration. Die, die kommen aber auch die die hier sind zusammen zu halten. Nicht zu zu lassen, dass die Angst sich von den Rändern der Gesellschaft in den Kern der Gesellschaft vor-frisst, denn dann wird es wirklich unangenehm im Land. Und deswegen glaube ich muss man die Zuwanderung steuern, ich glaube dass wir nicht an der Zahl derjenigen die kommen ein Problem bekommen, sondern an der Geschwindigkeit.“
Sigmar Gabriel: „Wir müssen in der Geschwindigkeit runter und wir müssen wissen wer kommt und wir müssen uns auf die einstellen können die kommen und das ist mit der derzeitigen Lage einer chaotischen Zuwanderung nicht zu erreichen. Das sind die drei Dinge, keines davon liegt in nationalen Instrumentalien, sondern alles schaffen wir nur gemeinschaftlich in der internationalen Politik und wir müssen aufhören den Leuten in Deutschland durch solche Schaukämpfe was vorzumachen, weil ja viele Leute glauben wir kämpften da um die Reduktion der Zuwanderung, ist ja dummes Zeug, sondern das sind Schaukämpfe die Leute nur verunsichern und wenn ein Land schon so ein bisschen verunsichert ist, dann darf eine Regierung so was nicht all zu oft machen. Das ist jedenfalls meine Überzeugung, aber sie müssten vielleicht ihren Appell auch an diejenigen richten, die das machen. Das mit dem verbieten solcher Diskussionen ist schwierig in einer Demokratie.“
Moderator: „Herr Minister, vielen Dank. Das war eine Rede zu einem Thema das uns allen sehr am Herzen liegt. Da hinten ist noch ein Junger Mann, der muss Muskelkater haben, weil der hat jetzt seinen Arm konstant hochgehalten, seit der vorvorletzten Frage.“
Sigmar Gabriel: „Dürfen hier eigentlich nur Männer reden oder?“
Moderator: „Ja das sind Selbstselektionsprozesse, da arbeiten wir aber dran. Bitte.“
Zuschauer: „Also ich bin Student hier, ich bin aber auch bei den Naturfreunden bei den Falken und mir sind zwei Sachen aufgefallen während Ihrer Rede. Erste Sache: Wenn Nordrhein-Westfalen nun die Innovationsregion ist, warum fördern wir dann doch immer noch alte Technologien wie die Braunkohle? Das ist die erste Frage und die zweite Frage ist: Wenn das mit dem Cloud-System in Deutschland so laufen soll, wieso verhandeln wir weiterhin immer noch im Bereich TTIP mit und verabschieden uns nicht von dem TTIP-Prozess?“
Sigmar Gabriel: „Gut, wie viele Stunden habe ich jetzt noch? Also Antwort zu Frage eins: Weil der Strukturwandel Zeit braucht. Wir legen jetzt 13% der deutschen Braunkohlekapazitäten still. Das gab es noch nie. Da arbeiten aber ein paar tausend Leute und natürlich muss man Strukturwandel begleiten. Das jedenfalls hat Sozialdemokratie immer unterschieden von Liberalen. Und wenn Sie bei den Falken oder Naturfreunden sind, dann müssten Sie das doch eigentlich wissen, dass man die Leute nicht einfach ins Berg-freie stürzen lassen kann. Man kann natürlich wenn man da nicht arbeitet und wenn nicht von dem lebt und davon nicht die Miete und die Bücher für die Kinder bezahlen soll, da kann man schnell sagen: „Mach doch die Braunkohle zu.“ Ich gehöre nicht zu denen. Ich bekenne mich dazu, Strukturwandel braucht Zeit und dann muss man Menschen begleiten auf diesem Weg im Strukturwandel. Wenn wir das im Ruhrgebiet nicht gemacht hätten, dann hätten Sie hier über viele Jahre hunderttausende von Arbeitslosen mehr gehabt. Und deswegen: Wir werden die Braunkohle nur Schritt für Schritt in dem jetzt beschlossenen Prozess reduzieren, aber wir werden nicht so tun, als hätte das keine Folgen.“
Sigmar Gabriel: „Im Übrigen ist es so, dass am Ende des Tages nach meiner Überzeugung nicht die Entscheidung sein sollte: welcher Brennstoff ist es? Sondern wir brauchen eine Wiederbelebung des Europäischen Emissionshandelssystems, damit die externalisierten Kosten der CO²-Emission Eingang in die betriebliche Kostenkalkulation kommen. Das ist zur Zeit nicht der Fall, deswegen ist Braunkohlestrom so billig, wird übrigens exportiert und deswegen haben wir so hohe CO²-Emissionen, obwohl wir viel Geld für erneuerbare Energien ausgeben. Deswegen muss sich der Preis für CO²-Emissionen ändern, aber eben nicht nur in Deutschland, sondern in Europa. Ich hoffe, dass wir nach der Klimakonferenz im Dezember in Paris das auch hinkriegen. Aber was Sie ansonsten gesagt haben, das kann ich als Sozialdemokrat nicht verstehen, wie man mal so eben sagen kann: „Mir sind 70000 Leute in diesem Teil der Wirtschaft egal, man wird Strukturwandel immer begleiten müssen.“ Zur TTIP. Wenn ich das mache, was Sie sagen, werden Sie mich in ein paar Jahren vermutlich verfluchen. Wenn Sie sich die Welt anschauen, was fällt einem dabei auf? Dann fällt doch auf, dass der Teil der Welt in dem wir leben schrumpft und der Teil der Welt in Asien, in China, in Latein Amerika, in Indien der Teil wächst. Dort wächst auch das Handelsvolumen, dort wachsen die Bevölkerungen, dort wachsen Märkte und die werden miteinander Verabredungen treffen in welcher Art der Welthandel und die Investitionen in Märkten statt zu finden haben. Und übrigens, das ist auch deren gutes Recht. Dass wir Europäer mal so eben sagen: „Wir bestimmen hier mal weiter wie das läuft.“ Ist schwer zu begründen, angesichts der Zahl der Menschen die da lebt.“
Sigmar Gabriel: „Und jetzt können Sie sich aussuchen ob Sie glauben, dass Sie auf einem Kontinent leben der sich isolieren kann von dieser Entwicklung. Ob Sie glauben: „Warum solle ich eigentlich mit irgendwem auf der Welt Handelsabkommen schließen? Ich kann das hier in Europa alleine.“ Dieser Überzeugung bin ich nicht, sondern ich glaube, dass Europa Partner braucht. Einer der Partner die wir haben … wir sind der größte Handelsraum der Welt, der zweitgrößte sind die Vereinigten Staaten. Kein einfacher Raum, aber uns näher kulturell, ökonomisch, politisch als jeder andere Teil der Welt. Das heißt nicht, dass es keine Konflikte mit denen gibt. Das heißt nicht, dass man alles gut finden muss wie die das machen, aber die Vereinigten Staaten dürften was ihre Vorstellungen für Nachhaltigkeit, für soziales, für Kultur, für den Umgang zwischen Staat und Wirtschaft angehen uns näher stehen als China. Näher stehen als Asien, näher stehen als Russland und deswegen muss man sich die Frage stellen: „Braucht Europa eigentlich Bündnispartner um seine Vorstellungen, wie sich Handelsbeziehungen entwickeln sollen durchzusetzen?“ Oder sagen wir: „Nein, das warten wir mal ab.“ Und dann werden wir uns anpassen müssen an die Standards, die andere beschließen.“
Sigmar Gabriel: „Ich jedenfalls glaube nicht, dass Europa sagen kann: „Sollen die anderen machen was sie wollen, wir werden auf Dauer und auf immer, selbst wenn unsere Enkel erwachsen sind regeln wir das hier für uns alleine.“ Diese Auffassung vertrete ich nicht und deswegen glaube ich es ist besser, wenn wir uns der Mühe unterziehen mit den Vereinigten Staaten ein Handelsabkommen zu schließen und zwar eines, das Standards erhöht und nicht senkt, weil sich danach andere Handelsräume uns anpassen müssen und nicht wir anderen. Das ist die Strategie hinter TTIP. Und jetzt würde ich einfach raten mal zu gucken, stimmen eigentlich die Behauptungen so die da so in die Welt gesetzt werden? Erste Behauptung ist, dass der nächste Schritt zum Zwang der Privatisierung und Liberalisierung. Gucken Sie in das Abkommen mit Kanada, da steht sogar drin, dass sie Dinge re-verstaatlichen dürfen, dass sie im Bereich der Öffentlichen Daseinsvorsorge kanadische Unternehmen diskriminieren dürfen, dass der Kulturbereich ausgenommen ist, dass der gesamte Daseinsbereich ausgenommen ist, dass Steuern ausgenommen sind.“
Sigmar Gabriel: „Also warum sollen wir das eigentlich mit den USA nicht auch hinkriegen? Dann gab es etwas, was ich auch falsch gefunden habe, das sind die privaten Schiedsgerichte. Dass bei Streitigkeiten zwischen Investoren und dem Staat ein privates Schiedsrecht entscheidet. Klammer auf: Wir Deutschen haben das mal erfunden. Ich finde es auch erstaunlich, das ist ja so eine eher Mitte-links-Debatte gegen TTIP, wie still wir da so waren, solange wir Deutsche solche private Schiedsgerichte anderen aufgedrückt haben. Solange wir das den Schwächeren aufgedrückt haben, fanden wir Deutschen das eigentlich auch wie in der Mitte und links im politischen Spektrum eigentlich ganz okay oder? Ich kenne keine Massendemonstrationen dagegen, dass Deutschland anderen Staaten private Schiedsgerichte aufgedrückt hat, aber jetzt auf einmal, wo wir einen haben, wo wir vielleicht denken: „Oh oh, der könnte ja stärker sein als wir.“ Da ist das der Untergang des Abendlandes. Nun bin ich auch dagegen, deswegen werden wir auch kein Abkommen bekommen, bei dem private Schiedsgerichte drinstehen, weil der Vorschlag den wir mit sechs sozialen demokratischen Handelsministern in Europa gemacht haben inzwischen von der EU übernommen ist und wenn die Amerikaner dem nicht zustimmen, dann gibt es kein Handelsabkommen, so einfach ist die Lage. Die müssen ja alles zustimmen, das Einstimmigkeitsprinzip, alle nationalen Parlamente müssen zustimmen, aber ich würde einfach darum bitten, dass wir aufhören zu glauben, dass die Welt sich nach unserem deutschen oder europäischen Bauchnabel entwickelt.“
Sigmar Gabriel: „Ich finde auch das ist eine komisch ängstliche Diskussion um TTIP, so als wären wir den Amerikanern schutzlos ausgeliefert. Als würden die morgen kommen und würden ihre ganzen Chlor-Hühnchen nach Deutschland bringen. Monate lang wurde ja über TTIP diskutiert als ob Chlor-Hühnchen kommen. Ich bin ja nicht so sicher was gefährlicher ist, die Hühnchen mit Chlor zu desinfizieren oder ihnen Antibiotika zu füttern, wie wir das machen. Wahrscheinlich ist beides nicht so schlimm. Aber die Wahrheit ist, kein Freihandelsabkommen der Welt ändert irgendein Gesetz. Kein Freihandelsabkommen der Welt ändert die Tatsache, dass man jedes veränderte Lebensmittel nicht nach Europa einführen darf. Kein Freihandelsabkommen der Welt betrifft die deutsche Printbestimmung, das Arbeitsrecht. Das sind alles seltsame Vorstellungen.“
Sigmar Gabriel: „Was ich mir wünsche, ist ein Land das selbstbewusster ran geht. Wir haben doch als Europäer was anzubieten, wir sind doch hier nicht die Dumpenhäuser, die Angst davor haben müssen ein Handelsabkommen mit den Amerikanern zu verhandeln. Und übrigens, wenn es am Ende nicht gut ist, na dann kann man ja auch den Mut haben nein zu sagen. Aber diese … jetzt muss ich aufpassen, dass ich nicht in eine nicht-akademische Sprache verfalle. Aber so viel Schiss in der Buchse zu haben, wie das viele inzwischen haben, das verstehe ich nicht. Wir sind doch eine emanzipierte Gesellschaft, wir können doch sagen, was wir wollen und dann verhandeln und dann mal gucken, was wir durchsetzen. Die Alternative die jetzt viel vor dem Abbruch der Verhandlungen heißt: „Das nächste Abkommen werden die Vereinigten Staaten mit China schließen.“ Und wer glaubt eigentlich, dass die Nachhaltigkeits-Standards, die Sozialstandards, die ökologischen, die kulturellen die China mit den USA vereinbart haben besser sind, als die die wir mit den USA vereinbart haben? Wahrscheinlich werden sie schlechter sein. Dann werden wir uns in den Handelsstandards aber denen anschließen müssen und nicht die unseren. Das ist eine etwas engagiertere Antwort auf Ihre üble Frage.“
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